„Ist es nicht wunderbar, daß die Begierde das Vermögen um so viele Jahre überlebt?“

William Shakespeare (1564 – 1616)

Wunschgedicht

Ich wünsche mir die Uhren ohne Zeiger,
die Sekunden als Stunden
und die Nächte mit Sternen.
Ich wünsche mir die schnellen Tage
ohne das hastige Abendläuten der Dome
und den Morgen ohne Abschied und Fahrpläne.
Ich wünsche mir den Rabbi lächelnd und
die Steine gelegt von warmen Händen,
lange gedreht und gehalten, rund und
glatt, neue Geschichten erzählend.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Soll sein, was ist oder bau ich
die Schlösser blauer als blau?

 
Ich wünsche mir singende Vögel
im schläfrigen Morgengrauen und
kühle Laken in der Mittagshitze.
Ich wünsche mir hundert Eiswürfel in meinem Glas,
saftige Limonenscheiben auf deinem Bauch
und die Sonne aller glücklichen Sommer.
Die Lehrer des Sozialismus tanzen im Schlosshof.
Karl, Rosa und Genossin Namenlos lachen wieder,
kein Plan und kein Soll. Niemand siegt
und kein Gedanke an morgen und später.
Früher und letzte Weihnachten im Sommer
als wir alle Oh du fröhliche sangen und
Tochter Zion nicht vorbeikam, weil die
Heiligen Drei Könige Sturm klingelten
und um Schokolade und Geld für die Armen
bettelten lauthals und einer war schwarz,
ein Flüchtling, aufgenommen und angemalt.
Den haben sie nicht totgeschlagen,
weil sie seinen Namen kannten,
weil er schön und laut sang,
gebenedeit seiest du Maria.
So war er einer der ihren.
Ein weißer schwarzer Muslim.
 

Ich wünsche mir eine langsame Zeit.
Eine Zeit, in der ich die Sekunden zähle,
den Regen trinke und die Augen offen bleiben.
Die Sprache des Betrugs habe ich verlernt,
ich setze Buchstabe an Buchstabe.
Ich öffne meinen Mund. Ich verstehe
A dank. A dank! Ich bin Zuhause,
aber nicht in der Gass und nicht
Daheim. Ich esse keinen gefillten Fisch.
Ich schweige und lache und schreibe
mich auf, ohne Punkt und Komma.
Viele Blätter in alten Koffern versteckt.
Viele Hefte in neuen Kisten verräumt.
Menachem verschreibt sich nie mehr.

Ich wünsche mir keinen,
der zweihundert Brezeln abkauft
und mich mit einem leeren Korb
sitzen lässt, ohne Wörter. Ich
wünsche mir eine, der mit
ihren Schritten, die Landschaften abmisst.
Die von gestern, die ich kenne,
die von morgen, in denen ich lebe.
Ich wünsche mir, dass die Grimmigen lächeln
und die immer Freundlichen Schimpfwörter lernen.
Ich wünsche mir einen kleinen Bruder
und eine große Schwester, die beide
an einem Ort wohnen. Zuhause
und Daheim, in ihrer Straße. Und
die Nachbarn grüßen. Ohne Ausnahme
und jeden Tag. Ohne Nachrede und Übelwollen.
Ich wünsche mir eine Reise nach Haifa
und einen Garten in der Wüste,
einen Orangenhain und einen blühenden
Pflaumenbaum, beide an einem Ort wachsend.
Ich wünsche mir keine alten Männer,
die mir befehlen und keine alten Frauen,
die mein Leben, meine Zeichen bössagen.

Ich wünsche mir die Lügen und Märchen
aller Lügnerinnen und Daheimgebliebenen
und dass ich mich nicht herausrede
aus den Wahrheiten, die ich nicht kenne.
Dass ich meine Worte bedenke und lächle.
Ich wünsche mir den Piazolla rückwärts und
Ernst Busch laut singend in meinem Schlosshof,
dass keiner mehr lacht und alle feiern.
Brecht ein Brot und streut Salz.
Was nehme ich mich groß und was
sagt wer über wen. Wünsche ich mir Gutreden.
Ich wünsche mir das Blaue vom Himmel herunter.

Ich wünsche mir die Häuser ohne Mieten,
die Zinsen auf Null und das Ende
der Betrügereien. Genug Geld, aber
wie viel ist genug und genügsam und reichlich
gemessen bemessen an wie viel Geld
im Besitz der Banker und Händler.
Die Bosse schieben mir lächelnd
Kleingeld zu. Großzügig sind sie
nie ohne schlechte Absichten.
Ich wünsche mir die Bahnhöfe
ohne Züge und mich ohne Koffer.
Mein Leben als Hochzeit in der Zeit.
Ohne Erbe und Eltern, mit Eltern
und den alten Geschichten. Erzählt!
Die Ewigkeit muss ich nicht erleben,
meine Zeit feiere ich tanzend um den leeren Tisch.
Dreimal läuten die Glocken den Abend ein,
dreimal gehe ich ums Haus, erkenne
mich nicht wieder und verschließe die Tür.
Der Schlüssel passt, mein Blick nicht.
Der Sommer ist alt, mein Wortbruch kein Text.
Ich breche mir das Wort
entzwei, also halte ich es niemals?
Ich wünsche mir deinen Traum und
dass ich ihn lebte ohne zu träumen
und aufzuwachen. Ich singe
laut in deinem dunklen Keller.

Ich wünsche mir Schlittschuhe fliegend
übers Eis, dass mein Tag kommt,
vertraut ist die Fremde und
ich bin zu Hause. Die Fische sprechen
und die Vögel jagen die Katze.
Ich wünsche mir meine Zeit
und keinen Preis für die Worte.
Ich wünsche mir den Sommer und keinen Tag
im März. Limonen und Hitze, keine alten
Geschichten und keinen ersten Kuss
geküsst. Ich wünsche mir die Heimat
in der Fremde und die Prinzessin und
den schwarzen König in meinem Bett.
Ich wünsche mir die Callas laut singend
in den siebten Hinterhöfen und die
Erinnerung an das blaue Meer
in der Bucht von St. Pabu.
Ich wünsche mich nicht neben mir.

© Jay Monika Walther: Querfeldein

Wie Menschen unsichtbar wurden und die Notizen immer kleiner

Meran 1938 

Die Geräusche im Hotel. Geschirrklappern, Rufe, Türen. Lärm von der Straße. Geschrei. Nie Stille. Selbst nachts sind die schlurfenden Schritte, die Angst, das Gemurmel zu hören. Heinrich Heldt notiert. Tag für Tag. Auf der Flucht. Ende 1938. Er wird mehr Welt kennenlernen, als er wusste, dass es Welt und Länder gibt. Leipzig, Berlin, dann der Hamburger Hafen. Das war sein Weg. Heldt liebte die Schiffe auf dem Trockendock mehr als auf See. Er liebte das erste Gerüst, das für den Bau der Passagierdampfer gezimmert wurde. Er liebte die Reparaturen an den Frachtern. Das Hämmern und Schweißen. Das Klirren der Nieten. Den Geruch. Den Lärm. Und jeder Arbeiter wusste, was er tun musste, damit das Schiff zu Wasser kam. Ein Konzert der Geräusche. Kaum Befehle. Morgens um sechs besprach er sich mit allen. Schiffsbauer und Kaufmann Heldt. Kaffee, Brote. Fisch. Geräucherte Makrelen. Hering. Krabben. Er liebte die Gerüche. Ein winziges Büro hatte er. Mit den Zeichnungen. Den ellenlangen Tabellen, in denen sich die Kosten aufaddierten. Sobald es möglich wurde, verlegte er seinen Arbeitsplatz auf das Schiff. So war er zwischen den Welten. Nicht zu Land und nicht zu Wasser. Aber mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Zukunft. Ein neues Überseeschiff. Ein fahrtüchtiger Frachter. Das waren seine Träume. So lebte er gerne.  Er wollte einen guten Platz im Hamburger Hafen sich erarbeiten. Aber die Zeiten wurden so bedrückend wie die Gespräche in der Familie. Die Ersten verließen dieses Deutschland.
Er besorgte für seine Frau und die beiden Mädchen Pässe und Visen für England. Sehr früh. So früh, dass niemand Verdacht schöpfte. Ein Besuch in Liverpool. Bei einem Geschäftspartner der Reederei. Ohne großes Gepäck. Nur für eine Woche. Er kümmerte sich um Pässe für alle in der Familie, die wegwollten, aber das waren nicht viele. Die meisten wollten bleiben. Trotz der Schreierei im Radio, trotz der Hakenkreuze an der Wand. Und auch Heinrich wollte lange nicht weg, bis es fast zu spät war. Einer Verhaftung entging Heldt, weil er meist in der Werft schlief, in einem der Schiffe. Versteckt. Weil seine Leute ihn mochten, weil die HAPAG ihn brauchte.
In Meran duften die Apfelblüten. Heinrich Heldt notiert. Seit dem März 1938 ist die Einreise für Juden nach Tirol verboten. Nur die Durchreise ist erlaubt. Ich bin auf der Durchreise. Ich weiß nicht, wohin mit mir? Wieso habe ich kein Zuhause mehr?Heldt saß hier schon Wochen. In Meran. Ein Jude. Juden. Keine Deutschen, keine Österreicher. Juden. Meran als Zuflucht. Gerade noch über die Grenze geschafft. Er war kein Hamburger, nicht in Leipzig geboren. Er war Jude. Er wusste nicht genau, was ein Jude war. Er wusste, wie Schiffe gebaut wurden. Wie die Kosten zu berechnen waren. Und dass in der Familie am Freitagabend Schabbes gefeiert wurde. Aber alle hatten durcheinander geheiratet. Schönheit, Geld, Kultur. Protestanten und Juden, weil anderes wichtiger war. Nicht die Jüdischkeit, sondern die Pläne. Zukunft, Arbeit, Liebe. In den Familien wurden Chanukka und Weihnachten gefeiert. Alle aßen Schinken. Alle wollten es zu etwas bringen, sich beweisen. Sich engagieren für das, was sie taten und für gut hielten. Für den Kaiser, fürs Vaterland, für Ebert und die Republik, für die Sozialdemokraten, für Gerechtigkeit. Für gutes Essen. Manche waren konservativ, andere liberal. Einer war Monarchist, einer Kommunist. Aber Juden waren sie nicht. Sie waren Preußen, Schlesier, Deutsche, Berliner, Hamburger, und manchmal gingen sie in die Synagoge oder in die Kirche. Dem Mann, der Frau zuliebe.
Sah er anders aus? Nein. Dunkelbraune Haare, ein rundes Gesicht. Er trug einen gutsitzenden dunklen Anzug. Seine Nase war normal, mitten im Gesicht. Ein Jude. Zweiunddreißig Jahre alt. Ein Schiffsbauer. Und ein Kaufmann. Er war geflohen. Er schämte sich und wusste nicht wofür. Aber er schämte sich und wäre gerne für alle Zeiten unsichtbar geworden. Die Apfelblüten. Rosa und weiß. Duftend. Er wusste nicht, wie er sich versteckt als reisender Kaufmann verhalten sollte. Hinaus gehen oder im Zimmer bleiben. Lächeln oder unsichtbar bleiben. Er war untergetaucht. Sichtbar und musste unsichtbar bleiben. Der Schiffsbauer zwischen Bergen. Ohne Auftrag.
Tag für Tag kamen mehr und mehr Flüchtlinge aus Deutschland in Meran an. Heinrich Heldt begriff, dass er weiterreisen musste. Dass er in Meran, in Italien, nicht in Sicherheit war. Er war im festen Glauben gewesen, dass er versteckt in den Werften, bei den Schiffen, das Ende der Nazis erleben könnte. Er war dumm gewesen, so dumm wie einige in der Familie. Bis es fast zu spät war. Bis es zu spät war. Es war nicht damit getan, es über die deutsche Grenze zu schaffen, nach Polen, in die Niederlande, nach Frankreich. Er musste weiter flüchten, Italien verlassen. Er wollte keine Erklärung zu seiner Rassenzugehörigkeit auf dem Meraner Standesamt abgeben. Eine Woche wollte er noch so tun, als wäre er der Herr Heldt, der über das Passeiertal in die Alpen schaut, dann musste er seine Fahrkarten benutzen. Sich durchschlagen. In den Süden. Er musste das Land verlassen.
Der Wind trägt den Duft der Apfelblüten bis in mein Zimmer, notiert Heldt. Schaue ich aus meinem kleinen Fenster, liegt die Stadt wie gemalt unter mir. Eine Idylle mit Menschen voller Angst. Eingebettet in weißen und rosa Farbtönen. Die Dreitausender sind schneebedeckt, die Bäume blühen. Mittelmeerluft. Ein Obstgarten mit Flüchtenden. Oleander und Pinien, Feigenkakteen wachsen hier. Über mir Schloss Trauttmannsdorff. Rund um Meran liegen viele Dörfer, aber ich bekomme wenig zu sehen. Ich bleibe im Zimmer. Wenn ich ein bergsteigender Jude wäre, könnte ich nach oben fliehen. Ausgerechnet ich. Aber es gibt keine Leiter in den Himmel. Auch der ist abgesperrt. Nachts liege ich wach und denke mir Fluchten aus. Ich muss Meran verlassen. Ich muss weiter. Es kommt der Tag, da zeigen alle mit dem Finger auf mich. Der Jude da.
In der Nacht klopfte die Wirtin, holte ihn ins Erdgeschoss zum Telefon. Rauschen, als sollte er spüren, wie weit er von Hamburg und seinem Bruder entfernt war. Seine Frau Nelly war auf der Isle of Man gestorben. Lungenentzündung. Kinder versorgt. Pass auf dich auf. Es wird Krieg geben. Gute Reise. Heil Hitler. Heinrich Heldt setzte sich auf den nächsten Stuhl und weinte. Die Wirtin stellte ihm einen Liter Veltiner hin und eine Flasche Trester. Heinrich Heldt trank und weinte. Er aß noch einmal Knödel und Strudel, Polenta. Er überlegte, sich von einem der Berge hinabzustürzen. Er entschied, dass er dazu kein Talent hatte und seine Kinder von ihm etwas anderes erwarteten. Also verabschiedete er sich von der Wirtin, die ihm nicht nur versicherte, dass sie nichts gegen Juden hätte, sondern ihm auch ein ordentliches Vesperpaket mitgab.
Ich bin kein Jude. Ich komme aus Hamburg. Ich bin Schiffsbauer und Kaufmann, sagte Heldt und setzte seinen Hut auf. Die Wirtin lächelte. Dann ging er mit dem kleinen Koffer und der Aktentasche zum Bahnhof. Bis März 1939 waren die meisten der Juden aus Meran abgereist. Wer nicht untergetaucht war, wurde zur Zwangsarbeit gefangen genommen. Davon erfuhr Heldt erst nach dem Krieg. Er floh weiter und schrieb in immer kleinerer Schrift in sein Notizbuch. Immer schmaler und kleiner.

Leipzig 1940

Ich sehe: Wie die Frau einen Brief schreibt, sich vorstellt, dass es sie gibt dass sie lebt, fühlt, dass sie ein Gesicht hat und rote Haare, dass sie einen Namen hat. Ich sehe: Wie sie das Haus verlässt, dass es sie gibt, ein letztes Mal auf der Straße schlendernd, dass sie grüßt, kreuz und quer durch die Viertel geht, danach werden in der Stadt keine ihrer Art mehr gesehen, danach war Tod vor der Geburt.
Ich sehe: Wie sie verschwindet. Wie sie schweigt. Sie lebt und atmet leise. Sie friert in ihrem Herzen, denn ihre Eltern sind tot, Brüder und Schwestern irgendwo. Die Verwandtschaft hat sich in Juden und Arier aufgeteilt. Von einem Tag auf den nächsten sind fast alle aus der großen Familie in anderen Ländern verschwunden, entweder als Fliehende, Emigranten oder als Soldaten. Sie friert in ihrer Seele. Sie teilt sich auf. Die Unsichtbare, die kleine Rosa Frieda Marie, die im Schutz ihres Vaters, an den weißen Rosen zupft. Die junge Frau, die es nicht gibt. Eines will sie auf keinen Fall sein: eine Jüdin. Sie ist keine. Sie weiß es. Ihr Vater ist ein preußischer Soldat und Postbeamter, ein Monarchist, ihre Mutter besitzt das Haus, Äcker vor den Toren der Stadt, den Kolonialwarenladen. Sie stammt aus einer bekannten Leipziger Familie. Niemand ist ein Jude. Niemand hat je einen gelben Stern getragen.
Im Kriegswinter 1944 ist es überall kalt, sind die Pläne aller zerstört. Die der Faschisten und Soldaten genauso wie die der Millionen Toten und Gefangenen. Irgendwie überleben, irgendwie entkommen, irgendwie über den Nationalsozialismus siegen, irgendwie Hab und Gut retten, irgendwie doch noch ein Geschäft machen, nicht erwischt werden. Überleben. Verschweigen, wer man ist. Das ist Gesetz. Den Befehlen folgen. Befehlen muss man folgen. Davon wusste ich nichts. Davon will ich nichts mehr wissen. Ich habe niemanden und nichts gesehen. Nichts gelesen, nichts gehört. Es war eine gute Zeit. Ich weiß von nichts.Die unsichtbare Frau schlägt sich durch, von Versteck zu Versteck, unsichtbar geht sie durch Leipzig.
Ein Mann mit gefälschten Papieren liebt eine junge Frau, eine unsichtbare junge Frau. In Leipzig. Im Dezember 1944 werden beide verhaftet und nach Oranienburg transportiert. Eine Jüdin und ein Jude. Nach dem jüdischen Gesetz. Nach der deutschen Rassenarithmetik: eine halbe Jüdin und ein halber Jude. Die Frau überlebt, der Mann landet mit einem der letzten Transporte in Auschwitz. Ein Verrat war begangen worden. Von sichtbaren Menschen.  1945 wurde in Leipzig ein Kind geboren. Mit einem Mann als Vater, den es nicht gibt. 1945 ist Rosa Frieda Marie wieder zu Hause. Dreiundzwanzig Jahre alt. Ihre Familie ist tot oder in andere Länder geflüchtet. Die Stadt liegt in Trümmern. Das Haus in der Idastraße hat wenige Bombenschäden. Die Wohnung der Eltern ist leer. Die Mieter klingeln, bringen Geld und ihre Miethefte. Sie sagen: Die kleine Marie ist wieder da. Wo warst du denn? Die junge Frau schweigt. Sie will unsichtbar bleiben.

Fluchtlinien – Wie die Welt sich in Innen und Außen teilte. Roman von J. Monika Walther. 224 Seiten. 12,80 €

In der Traumwäscherei …

Notiz Dezember 2022

Ein Schmetterling flattert durch den Palast
Die goldenen Türen schließen sich
Die Soldaten kichern
Die Gewehre fliegen kopfüber

Die Schmetterlinge fliegen über Trümmer
Kohlrüben Kohlweißling
Hundeblumen Zitronenfalter
Der Herrscher grinst und fährt davon.

© Jay M. Walther

… ist Arbeit

Geschichten von Menschen sind nicht entlang einer einzigen Idee, entlang einer aufgefundenen Chronik zu erzählen. Berichtete Lebensinhalte, dargestellt als die einzigen, sind zumeist nicht mehr als die gewünschten Abziehbilder, die ein Mensch hinterlassen möchte.
Geboren an ungewählten Orten, mit verlorenem Gleichgewicht in die Welt entlassen, wird die gestoppte Zeit zum Maß der Gefühle und der Enteignung des Eigensinns. Zu lernen ist die Akzeptanz der Verflochtenheit von biografischen Wirklichkeiten und Scheinrealitäten. Die Distanz zu sich und den Wörtern., die Entfremdung  ist vermittelt über die Erfundenen, die in der Traumwäscherei ihr Brot verdienen. Das Denkbare grenzt an das Undenkbare und die Sprache.
Die Grenzen meiner Sprache bedeuten aber nicht die Grenzen meiner Welt, nur die meiner Befremdung, und sie offenbaren die Größe Schreiben
© Jay M. Walther

Sowas von lesenswert

Brandaktuell ist dieser Wirtschaftskrimi und #politthriller von #jmonikawalther und #monikadetering! Der hoch spannende Roman über Morde im #münsterland ist dabei keineswegs ein #regionalkrimi. Denn rechte Seilschaften, #Russenmafia und in Jahrhunderten gewachsener Klüngel und Nepotismus gedeihen in einer Nebengesellschaft in der ganzen Republik prächtig.

Die Autorinnen Jay M. Walther und Monika Detering haben gut recherchiert und lassen das unfassbare Verbrechen von einem äußerst liebenswerten Ermittlerteam aufklären. Sowas von lesenswert!

Das Hörmordkartell 14. November 2020


Der Mann ohne Hände, Kriminalroman von Monika Detering und J. Monika Walther

416 Seiten. 13 € 80

Herzlich Willkommen


Eine Idylle, ein Postkartenbild dachte Greta Behringer. Alles passt und doch gefällt es mir nicht. Alles ist pünktlich erledigt, aber wie immer interessiert sich die gnädige Frau Jellenkamp nur für das Eine, für ihr Handy. Greta Behringer nannte ihre Arbeitgeberin und die Mutter von Ann-Sofie im Stillen immer nur die gnädige Frau. Herzlichkeit war nicht deren Stärke. Selten reichte es zu mehr als kühler Höflichkeit. Meist war sie in ihre Geschäfte versunken, in Eile und beachtete niemanden. Hauptsache der Haushalt funktionierte, die Hecken waren geschnitten und alles glänzte sauber. Zeit nahm sie sich nur für ihre Ann-Sofie. Eine Stunde jeden Abend. Und morgens frühstückte sie mit ihrer kleinen Tochter. Das war ihr wichtig und dass Ann-Sofie eine Jellenkamp war und nicht wie ihr Mann hieß. Auch sie hatte bei der Eheschließung ihren Namen behalten. Einen guten Namen, der für ein stattliches Erbe an Land und Immobilien stand. Und für Aktienbesitz, Beteiligungen an Firmen. Oberklasse. Eigentlich ein alter Begriff, aber auf Annette Jellenkamp und ihre Eltern passte er. Die Eltern wussten, dass sie Macht hatten und vor allem die Mutter nutzte sie rücksichtslos, Annette Jellenkamp war da noch ungeübt.
„Was ist das?“, fragte das Geburtstagskind. „Was ist das?“
Zwischen den leuchtenden Seerosen trieb ein Mensch. Unbeweglich auf dem Bauch, das Gesicht lag im Wasser. Die leichte Strömung schob ihn voran.
„Dem Mann fehlt eine Hand“, sagte Dore Vermeulen wie in Trance. Greta stellte sich vor die Kinder: „Geht zum Haus! Sofort.“
Der Mann trieb an ihnen langsam vorbei. Dore sah hoch und auf die andere Seite. Da war nichts und niemand. Dann hörte sie eine Fahrradklingel. Sie griff nach ihrem Handy. Notruf.